- Avignon und die französischen Päpste
- Avignon und die französischen PäpsteWer heute als Tourist Avignon besucht, wird nicht versäumen, den Papstpalast wenigstens von außen zu besichtigen. Der festungsartige Bau wird vielleicht den Eindruck einer finsteren Wehrburg hervorrufen, die in die sonst so liebliche Provence nicht so recht passen will. Diesen Eindruck müssen Besucher im 14. Jahrhundert auch schon gehabt haben, denn sie sprachen vom »Babylonischen Exil« der Päpste. Sie meinten damit den Tatbestand, dass die Päpste fast 70 Jahre in Avignon statt in Rom residierten. Wie kam es dazu? Die Antwort wird vielleicht auch die Existenz eines gotischen Wehrbaus in dieser Stadt erklären.Zu Beginn des 14. Jahrhunderts hatte Papst Bonifatius VIII. in der Bulle »Unam sanctam« (1302) die traditionellen Machtansprüche des mittelalterlichen Papsttums nochmals erneuert, war dabei aber auf heftigsten Widerstand beim französischen König Philipp IV., dem Schönen, gestoßen. Der Konflikt endete mit der Niederlage des Papsttums gegenüber dem ersten, im Werden begriffenen Nationalstaat Europas. Infolgedessen standen sich bei der Papstwahl 1304 im Kardinalskollegium zwei Parteien hart gegenüber, die des Bonifatiusund die französische. Nach elf Monaten wurde schließlich ein Kompromiss in der Person des Erzbischofs von Bordeaux, Bertrand de Got gefunden. Als Papst Klemens V. ließ er sich 1305 in Gegenwart Philipps in Lyon krönen. Wegen der unsicheren italienischen Verhältnisse zog er aber nicht nach Rom, sondern hielt sich in seiner Heimat Gascogne und ab 1309 in Avignon auf. Dies war ebenfalls ein Kompromiss: Die Stadt gehörte nicht zu Frankreich, lag aber unmittelbar an dessen Grenze - und außerdem nahe zur Grafschaft Venaissin, die der päpstlichen Herrschaft unterstand. Klemens V. hatte mehrere Gründe, in Avignon zu bleiben, ganz praktische - so das Konzil von Vienne (1311/12), das er zu eröffnen hatte - und kirchenpolitische: Es galt, noch einen Prozess gegen seinen Vorgänger Bonifatius, den der französische König anstrengte, abzuwenden, außerdem als Vermittler zwischen England und Frankreich zur Verfügung zu stehen und schließlich den König für einen Kreuzzug zu gewinnen (zu dem es jedoch nicht mehr kam!). Dennoch war der Aufenthalt in Avignon als Provisorium gedacht. Bevor es beendet werden konnte, starb Klemens V.Sein Nachfolger ab 1316, Johannes XXII., war früher Bischof von Avignon gewesen und hielt sich deshalb schon weniger provisorisch hier auf. Er baute den ehemaligen Bischofspalast um und aus und nahm darin Residenz. Wegen seines Streits mit dem deutschen König Ludwig IV., dem Bayern, dem letzten großen Kampf zwischen Kaisertum und Papsttum im Mittelalter, hatte er auch vitales Interesse daran, die Nähe des französischen Königs zu suchen. Immerhin gelang es Ludwig, sich in Rom 1328 in Sankt Peter »im Namen des römischen Volkes« zum Kaiser krönen und einen Mönch als Gegenpapst mit dem Namen Nikolaus V. wählen zu lassen. Doch dieser unterwarf sich bald dem Papst in Avignon.Der Nachfolger, Papst Benedikt XII. ließ anstelle jener Residenz einen neuen päpstlichen Palast errichten. Er erbaute den »alten Palast«. Ein weiteres Zeichen dafür, dass er auf Dauer hier bleiben wollte, war, dass er 1339 die Archive von Assisi nach Avignon verlegte. Dies konnte durch eine Ausweitung des päpstlichen Steuer- und Stellenbesetzungswesens verwirklicht werden. Die Steigerung des päpstlichen Finanzbedarfs im 14. Jahrhundert erklärt sich aus dem Ausbleiben der Einnahmen aus dem Kirchenstaat in Italien einerseits und den Kosten der avignonischen Hofhaltung andererseits, sodass die päpstliche Kurie zur bedeutendsten Geldmacht Europas aufstieg.Klemens VI. (1342-52) ließ den Bau verschönern und um den »neuen Palast« vergrößern. Er kaufte auch Johanna von Neapel die Stadt Avignon ab, die durch die päpstliche Residenz zum Mittelpunkt der Christenheit geworden war. Die Stadt wuchs über ihre alten Grenzen hinaus und wurde mit einer turmbewehrten Mauer umgeben. Die Kardinäle bauten sich ebenfalls kleine Paläste. Die päpstliche Hofhaltung ließ den Fernhandel und das Bankwesen aufblühen, die Kultur und das Geistesleben ebenso. Der erste italienische Humanist, Francesco Petrarca, lebte am päpstlichen Hof. Avignon erlebte seine Blütezeit.Aber schon Papst Innozenz VI. (1352-62) dachte an eine Rückkehr nach Rom. Inzwischen machten Räuberbanden die Provence und die päpstliche Residenz trotz ihrer Befestigung unsicher. Die Macht des französischen Königs ging durch die Niederlage im Hundertjährigen Krieg mit England zurück und damit auch der Druck auf den Papst. Zudem waren die Verhältnisse im Kirchenstaat so verworren, dass der Ruf nach Rückkehr des Papstes immer lauter wurde. Dieser schickte den spanischen Kardinal Albornoz nach Italien. Dreizehn Jahre benötigte Albornoz, um die Verhältnisse soweit zu ordnen, dass der Nachfolger - trotz des Widerstands der Kardinäle und des Königs - nach Rom übersiedeln konnte. Am 16. Oktober 1367 hielt Urban V. seinen feierlichen Einzug in die Ewige Stadt. Aber nach kaum drei Jahren - Kardinal Albornoz war gestorben und der Papst den Verhältnissen nicht gewachsen - kam er nach Avignon zurück.Erst Gregor XI. verlegte 1376 die Kurie wieder endgültig nach Rom, wo die Verhältnisse inzwischen katastrophal geworden waren und man daran war, einen Italiener zum Papst auszurufen. Katharina von Siena bestärkte ihn aus diesem Grund zur Rückkehr. Aber auch Gregor wollte bereits Rom wieder verlassen, als er 1378 starb.Während des Großen Abendländischen Schismas, als zwei beziehungsweise drei Päpste gleichzeitig ihren Anspruch erhoben und sich gegenseitig exkommunizierten und bannten, residierten in Avignon noch (mit Unterbrechungen) die Päpste Klemens VII. und Benedikt XIII.Damit war ein Kapitel der Kirchen- und Papstgeschichte endgültig abgeschlossen, das im Allgemeinen negativ, eben als »Exil« für die Päpste beurteilt wird. Für die Stadt Avignon waren die Jahre des »Exils«, besonders um die Jahrhundertmitte, eine Glanzzeit; das Papsttum selbst dagegen geriet in übermäßige Abhängigkeit von den französischen Königen und brachte sich durch exzessive Steuer- und Stellenbesetzungspolitik in Misskredit.Dr. Werner MüllerFrank, Isnard Wilhelm: Kirchengeschichte des Mittelalters. Düsseldorf 31994.Geschichte der katholischen Kirche, herausgegeben von Josef Lenzenweger u. a. Graz u. a. 31995.
Universal-Lexikon. 2012.